Resonance / Algorithms

Beitrag im mumok Blog zu Resonance / Algorithms

Als ich im Herbst 2018 in das Semper-Depot in den Medienklassenraum betrat, hatte ich seit dem Grundschulunterricht nicht mehr in Gemeinschaft gesungen. Es war die erste geheime Probe, sollte dieser damals noch namenlose Chor doch eine Überraschung für Diederich Diederichsens 60. Geburtstagsfeier werden.

Die eindringlichste Erfahrung für mich war, einerseits, dass es sofort eine Art abgemilderte Euphorie auslöst, gemeinsam zu singen, und andererseits, wie schwierig es ist, genau zu hören, ob der Ton mit der eigenen Stimme getroffen wird. Florian Ebner, der Chor-Ko-Leiter ist Musiker, und war sehr geduldig mit den weniger geübten Stimmen.

Singen ist heutzutage, auch ohne dass es im Film stattfindet, ein multimediales Unterfangen – es wurden bei den Chorproben stets Aufnahmen angefertigt und mit allen Sänger:innen digital geteilt, so dass auch alleine geübt werden konnte.

Als die Covid-Pandemie begann, hielt der Chor weiterhin Proben online über Zoom ab, die natürlich völlig anders waren als die gemeinsame Präsenz in einem Raum.

Was jedoch hat dieser queer-feministische Chor mit Resonanz und Algorithmen zu tun, wie der dritte Abend im mumok am 7.12. betitelt ist?

Um sofort bestimmte Fantasien zu entkräften: Nein, Mala Sirena hat sich nicht geklont in der virtuellen Realität, verkauft keine Songs als NFTs oder lässt nun eine künstliche Intelligenz für sich singen, wie etwa der komplett artifizielle, aber selbstverständlich von Menschen ins Leben gerufene, AI Rapper FN Mekka.1

Stattdessen singt der Chor Stücke von „digitalen Künstler:innen“, wie u. a. FKA Twigs, Holly Herndon, Space Lady, Janelle Monáe, die sowohl die eigene Stimme und Persona als Kunstfigur vervielfachen und in ihren Auftritten fluide, posthumane, post-identitäre und queere Settings zelebrieren. Sie können gleichzeitig Cyborgs und (afrofuturistische) Weltraumreisende sein, denn Musik bot immer schon die Möglichkeit des mentalen, imaginären Reisen und andere Welten Entdeckens. Der afro-amerikanische Musiktheoretiker Louis Chude-Sokei postete kürzlich auf Facebook den Aphorismus "Microphones are paint brushes." Doch die auf Algorithmen basierenden Werkzeuge der Stimmenverstärkung und -übertragung können sehr viel mehr, vielleicht dachte er auch an digitale Pinsel, mit denen sich Frequenzen ändern und übermalen lassen, wie es in moderner Musiksoftware und ihren vielfältigen Filtereinstellungen möglich ist. In seiner Forschung beschäftigt sich Chude-Sokei mit: „Black musical forms have bequeathed a range of techniques of listening, and of exploring space via sound. These techniques are born out of the work of Black artists, thinkers, and recordists, who begin to appropriate ‚the prosthetic ear‘ of microphones from the colonial postures and oftentimes racist meanings and practices associated with field recording from the late 19th/early 20th century.“2

So stellen sich in der Gegenwart inmitten von Live-Stimmen und ihrer vielfältigen digitalen Echos und algorithmischen Bearbeitungen neue Fragen, wie Marc Tracy zu bedenken gab: „Even when artificial intelligence does help write music, should the humans behind it be accountable for the machine-created lyrics? And as far as race is concerned, how do the rules of cultural appropriation work when the person doing the appropriating is not a human being with a unique cultural background but a fictitious identity backed by an anonymous, multiracial collective?“3

Ohne direkte Antworten auf diese Fragen zu geben, liefern die unterschiedlichen Filme und last not least die Auswahl der Tracks für den krönende Live-Auftritt von Mala Sirena viele Denkanstöße und affizierende Momente zum Weitersingen, Zuhören und Arbeiten.

1 Den menschlichen Produzent:innen von FN Meka wurde jedoch schnell eine stereotype Darstellung schwarzer Rap-Künstler vorgeworfen. Siehe z. B. https://www.youtube.com/watch?v=PYg9xMyF68Y, zuletzt 2.12.2022.

2 Louis Chude-Sokei, Keynote Lecture, „Race and the Prosthetic Ear“, siehe https://www.soncities.org/events/soundscapes-of-social-justice, zuletzt 2.12.2022.

3 Marc Tracy, „A ‚Virtual Rapper‘ was Fired. Questions about Art and Tech remain“, in: New York Times, 6.9.2022. https://www.nytimes.com/2022/09/06/arts/music/fn-meka-virtual-ai-rap.html, zuletzt 4.11.2022